Liebe Leserin, lieber Leser,
ohne den Advent wäre Weihnachten nur halb so schön, finde ich. Denken Sie nur, auf was man alles verzichten müsste, wenn wir Weihnachten nur für sich feierten, also gleich mit „Stille Nacht“ anfingen, ohne vorher „Macht hoch die Tür“ oder „Tochter Zion, freue dich“ oder eben „Seht, die gute Zeit ist nah, Gott kommt auf die Erde“ gesungen zu haben. Wenn wir das winterliche Kalorienfest gleich mit Gans oder Karpfen oder Truthahn begönnen, ohne wochenlang vorher schon mit Plätzchen und Stollen vorgeglüht zu haben und in Form gekommen zu sein.
Die Vorbereitungszeit auf das große Fest ist schon Teil davon, auch wenn wir beides unterscheiden; sowohl kirchlich in Advent als Fastenzeit (doch, doch, auch wenn man es in Anbetracht unserer Adventsbräuche sehr im übertragenen Sinn verstehen muss) und Weihnachten als Freudenzeit, – als auch weltlich in Advent als stille Vorbereitungszeit (in der wir uns darin gefallen so heftig wie sonst im restlichen Jahr nicht über Hektik zu klagen) und Weihnachten als tatsächlich ruhige Zeit für Familienzusammenkünfte, Urlaub, etc.
Die Vorfreude gilt dem Frieden, so sagt es das Lied, den die Ankunft Gottes auf Erden ausbrechen lassen will. Gott kommt also nicht zu uns, weil es so schön bei uns wäre, sondern weil es das eben leider nicht ist, obwohl es doch ursprünglich genau so gemeint gewesen war: Friede zwischen Mensch und Gott und Mensch und Mensch. Und nicht nur zwischen den Menschen, sondern, und das ist eine Voraussetzung für das „zwischen“, auch innerhalb eines jeden Menschen. Gottes Kommen auf die Erde ist also nicht nur als Ereignis für sich bedeutend, sondern hat ein Ziel, ein praktisches, nachprüfbares, messbares Ziel, den Frieden in mir und um mich. Dafür besingt die zweite Strophe des Adventsliedes dann auch scheinbare Gegensätze, die im Licht von Gottes Kommen praktisch, nachprüfbar und messbar keine mehr sein können: „Hirt und König, Groß und Klein, Kranke und Gesunde, Arme, Reiche lädt er ein, freut euch auf die Stunde.“ Das heißt im Umkehrschluss, dass wo die Unterschiede fortbestehen, Weihnachten definitiv nicht stattgefunden hat. Auch das lässt sich objektiv feststellen.
Wenn die Vorbereitungszeit also einerseits Teil des Festes, andererseits davon klar unterschieden ist, dann heißt das für die Vorfreude, dass alle Träger dieser Vorfreude schon jetzt so lebten, als wäre das Ereignis schon eingetreten, also praktisch, nachprüfbar und messbar friedlich. Wenn dann noch Gottes Friede dazukommt, dann bräuchten wir nicht so überrascht zu sein über den Unterschied zwischen diesem Frieden und unserer Welt, sondern könnten uns sogar ein klein wenig darauf einbilden, dass Gott vielleicht doch auch deshalb zu uns kommt, weil es bei uns eigentlich ganz schön ist. Kein Wunder, dass die Vorbereitung auf das Fest des Friedens so betriebsam ist, denn es ist nun mal jede Menge zu tun. Anfangen muss man aber bei sich.
Eine vorfreudige Adventszeit wünscht Ihnen und Euch,
Joachim v. Kölichen