Fasten. Gedanken zur Kirchenjahreszeit

Liebe Leserin, lieber Leser,
wer Kalorien verbrennt, muss auch welche aufnehmen, das ist eine Binsenweisheit; Essen und Trinken hält nun einmal Leib und Seele zusammen.
Essen und Trinken ist aber weit mehr als Aufrechterhaltung des Stoffwechsels, es steht auch immer für die Art und Weise, wie Menschen sich zur sie umgebenden Natur (denn daher kommt ja, was gegessen und getrunken wird) und zueinander, ja: zum ganzen Universum verhalten. Das (all-)tägliche Brot und das Heilige in Natur und Mitmensch und Gott gehören zusammen, seit es religiöse Äußerungen gibt. Essen und Trinken geben Auskunft über Reinheit und Unreinheit und das hieß und heißt immer auch darüber, wer dazugehört zu einer Gemeinschaft als Gegenüber von Gott (und wer nicht).
Dem gegenüber steht das Fasten, der bewusste Verzicht auf eben die biologisch notwendige Nahrungsaufnahme zur Selbsterhaltung. Auch dieser Verzicht gehört zu den religiösen Urtechniken der Menschheit. Unter dem Aspekt des Stoffwechsels ist es eine selbstzerstörerische Übung und als solche hat das Fasten als Hungerstreik einen festen Platz im Repertoire von Protestbewegungen. So unterschiedlich die Anliegen sein mögen, so hat jeder Hungerstreik doch eines gemeinsam: dass er mit der Selbstaufgabe droht, wenn das Anliegen nicht vom Gegenüber in der erwarteten Weise beachtet wird. Und da liegen Selbstlosigkeit und Erpressung nah beieinander.
Wer fastet, protestiert gewissermaßen gegen Lebensnotwendigkeiten, aber gerade damit gewinnt das Fasten seine höhere Bedeutung. Denn es ist, wenn auch nur vorübergehend, eine Aussage, dass Leben mehr ist als Stoffwechsel, dass die Grundbedürfnisse nicht alles sind, was mich steuert und lenkt und leitet, dass ich frei bin zu entscheiden, was ich und wann ich es verzehre. In der Überwindung des Notwendigen, in der Freiheit des Willens liegt die eine Seite, die das Fasten zu einer spirituellen Erfahrung macht, in der Wahrnehmung des Verzichts liegt die andere Seite, die Besinnung auf das, was mir wirklich wichtig ist.
Und diese Besinnung ist es, worum es geht beim Fasten, wenn es ein gläubiges Fasten sein will, egal in welcher Form – ob ich nun auf bestimmte Leckereien verzichte oder Angewohnheiten, von denen ich mich abhängig mache oder ob ich mir bewusst jeden Tag etwas Zeit nehme, um über Dinge nachzudenken, die mir sonst egal wären. Das Fasten macht den Alltag zum Festtag, aus dem täglichen Brot ein Festmahl, aus täglichem Trott Gottesdienst.
Aber so, wie beim Fasten als Protest Selbstlosigkeit und Erpressung nah beieinander liegen, so liegen beim Fasten als Glaubensakt echte Frömmigkeit und die Gefahr der eitlen Frömmigkeit nah beieinander. Weil es ein Willensakt ist, der Selbstüberwindung erfordert und Selbstdisziplin, und aktiver Kampf gegen den „inneren Schweinehund“ ist, darum hängen Menschen gerne ihr Fasten an die große Glocke. Aber in dem Fall verkommt das Fasten nur noch zur sportlichen Übung und verliert seinen Sinn als innere Befreiung von Zwängen, Wünschen und Bedürfnissen und als Besinnung auf das mir Wesentliche.
In der Bergpredigt gibt denn auch Jesus seinen Hörern einen Rat, der das Fasten betrifft, und in Anlehnung an die alten Propheten unterstreicht, dass Verzicht auf Nahrung immer auch mit Verzicht auf Ego einhergehen sollte:
„Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. … Wenn du aber fastet, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist;…“ (Matthäus 6, 16-18).
Ein Gedanke zum Schluss, der zum Fasten dazugehört: es wird auch in den Kirchen immer häufiger über Fundraising gesprochen und in diesem Zusammenhang hört man häufig den Ratschlag: Tue Gutes und rede darüber.
Es geht auch einfacher: Tue Gutes. Punktum. (Reden kann man ja auch fasten, also weglassen….)
In diesem Sinne uns allen eine gesegnete Fastenzeit!
Ihr und Euer
Joachim von Kölichen