Vom Geist inspiriert

Wir hatten Gäste: Ein Gospel-Chor aus New York hat uns besucht und am Abend ein Konzert gegeben. An diesem Tag bemühten sich unzählige Menschen um Einlass in die Kirche. Die vierhundert Sitzplätze waren schnell belegt. Besucher saßen und standen auf den Treppen, Fluren und Emporen. Die Kirche war so voll wie noch nie. Aus Sicherheitsgründen mussten wir den Einlass schließen.
Die schwarzen Musiker sangen und spielten ihre Lieder: Sie sangen von der Arbeit auf den Baumwollfeldern, dem Elend in der Sklaverei und dem entbehrungsreichen Leben in Gefangenschaft. Sie besangen Gott, der die Not der Menschen gesehen und ihr Elend gewendet hat. Sie beschrieben ihre Träume und gaben ihrer Hoffnung auf Rettung aus der Not Ausdruck. Sie erzählten vom Aufbruch in das verheißene Land, von Befreiung und Erlösung.
Was sich an diesem Tag ereignete, hatte ich in der Kirche noch nicht erlebt: Körper bewegten sich im Rhythmus der Melodien, Menschen tanzten, Fremde lagen sich in den Armen, Personen, die der Kirche distanziert gegenüberstanden, waren plötzlich mitten drin.
Es war etwas passiert: Menschen waren innerlich und äußerlich bewegt. Sie waren miteinander verbunden, teilten ihre Freude, erlebten eine Atmosphäre des Friedens und feierten das Leben. Der Geist der Spirituals war auf die Zuhörer übergesprungen. Sie waren inspiriert. Der Geist hatte sie ergriffen, erfüllt und bewegt. Sie waren begeistert.
Die Bibel berichtet mehrfach von Menschen, die begeisternde, ekstatische Erfahrungen machen:
Gott forderte Mose auf, siebzig Älteste zu wählen und sie um die Stiftshütte zu versammeln. Gott nahm von dem Geist, der auf Mose war, und „legte ihn auf die siebzig Männer, die Ältesten. Und als der Geist sich auf ihnen niederliess, gebärdeten sie sich wie Propheten“. Die Einheitsübersetzung übersetzt: Sie gerieten „in prophetische Verzückung, die kein Ende nahm“ (Numeri 11,16-25).
Samuel, der Saul zum König gesalbt hatte, verhieß, dass der Geist des Herrn über Saul kommen und dass er in Verzückung geraten wird. Er wird verwandelt und ein anderer Mensch werden. Saul wartete sieben Tage in Gilgal, bis Samuel zu ihm kam und ihn instruierte. Als sie sich trennten, gab Gott Saul ein anderes Herz und die Zeichen, die er verheißen hatte, trafen alle ein. Wie sie nach Gibea kamen, kam Saul eine Propheten-Schar entgegen „und der Geist Gottes durchdrang ihn“. Er gebärdete sich „wie ein Prophet“, und die Menschen wunderten sich (1Samuel 9,15-10,12).
Die Ausgießung des Heiligen Geistes am Pfingstfest in Jerusalem weckte bei den Zuschauern den Eindruck, dass die Jünger berauscht sind. Petrus griff in seiner Predigt das Phänomen des Rauschhaften auf und deutete es mit dem Hinweis auf die alttestamentliche Prophetie: Gott hat über „die Zwölf“ seinen Geist ausgegossen, wie es der Prophet Joel vorausgesagt und verheißen hatte (Apostelgeschichte 2,14-18):
Es wird geschehen … ,
da werde ich von meinem Geist ausgiessen über alles Fleisch,
und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen,
und eure jungen Männer werden Gesichte sehen,
und eure Alten werden Träume träumen.
Und auch über meine Knechte und über meine Mägde
werde ich in jenen Tagen
von meinem Geist ausgiessen, und sie werden weissagen.
Ich wünsche auch Ihnen bewegende, begeisternde Erfahrungen. Möge der Geist des Heiligen auch über Sie kommen und zu lebendigen Zeugen des Auferstandenen, zu Zeugen von Christus machen.
Pfarrer Dr. Siegfried Schwemmer